Welche Rolle spielt die Schilddrüse beim Kinderwunsch?

Der Kinderwunsch ist oft mit großen Hoffnungen und Erwartungen verbunden und kann bei Nichterfüllung für Betroffene eine enorme Belastung darstellen. Bei der Suche nach der Ursache sollte in jedem Fall auch eine Untersuchung der Schilddrüse vorgenommen werden, denn die Funktion der Schilddrüse beeinflusst neben dem Stoffwechsel auch den Zyklus und somit die Fruchtbarkeit der Frau. Unsere Redakteurin Lisa Türk hat den Schilddrüsenspezialisten Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig in einem Interview zur Schilddrüse im Zusammenhang mit einem Kinderwunsch befragt.
Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig im Interview zu Schilddrüsenerkrankungen und Kinderwunsch

Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig im Interview zu Schilddrüsenerkrankungen und Kinderwunsch

Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig im Interview mit Lisa Türk zum Thema Schilddrüsenerkrankungen und Kinderwunsch

Die Schilddrüse und die Schilddrüsenhormone

Die Schilddrüse ist ein hormonproduzierendes Drüsenorgan. Sie speichert Jod und bildet die lebensnotwendigen Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3). Diese Hormone regulieren unter anderem den Stoffwechsel und beeinflussen das Wachstum. In den C-Zellen der Schilddrüse wird zudem das Hormon Calcitonin gebildet, welches am Calcium- und Knochenstoffwechsel beteiligt ist.

Um die Schilddrüsenhormone zu bilden, benötigt der Körper Jod. Da der menschliche Organismus den Mineralstoff nicht selbst herstellen kann, ist er auf die Zufuhr über die Nahrung angewiesen. Aus dem Darm über das Blut gelangt das Jod in die Schilddrüse, wo es in mehreren Schritten in die Hormone eingebaut wird. Um die Jodversorgung zu verbessern und Mangelerscheinungen vorzubeugen, wird in Österreich seit 1963 dem Speisesalz Jod zugesetzt.

Grafik der Schilddrüse und den Hormonen T3 und T4 Dr_Microbe / iStock

Die Schilddrüse selbst wird über die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) gesteuert, welche das Hormon TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon, Thyreotropin) abgibt. Dieses regt die Schilddrüse zur Produktion von T3 und T4 an und reguliert somit nach Bedarf den Schilddrüsenhormonspiegel im Blut. Bei Kälte, im Wachstum oder während einer Schwangerschaft benötigt der Stoffwechsel mehr Energie. T3 und T4 steigern den Grundumsatz des Körpers, da unter ihrer Wirkung Stoffwechselvorgänge in den Köperzellen gesteigert werden und somit mehr Energie verbraucht wird.

Eine Funktionsstörung der Schilddrüse kann eine Über- oder Unterproduktion von Schilddrüsenhormonen bewirken und zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen, einschließlich Auswirkungen auf die Fertilität.

Wie beeinflusst die Schilddrüse die Fruchtbarkeit?

Neben dem Herz-Kreislauf-, Nerven- und Verdauungssystem üben die Schilddrüsenhormone auch Einfluss auf die Fortpflanzungsfunktionen des Körpers aus. Die Hormone T3 und T4 beeinflussen die Sexualhormone und dadurch auch die Reifung der Eizelle und die Ovulation. Aufgrund dessen kann eine Schilddrüsenunter- oder überfunktion Zyklusstörungen verursachen, die sich beispielsweise durch eine unregelmäßige oder ausbleibende Menstruation äußert und die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis verringert.

Bei einem unerfüllten Kinderwunsch ist somit eine Untersuchung der Schilddrüse sowie eine Abklärung der Schilddrüsenfunktion erforderlich.

Bei einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) werden zu viele Schilddrüsenhormone produziert. Die Funktionsstörung lässt sich durch einen zu niedrigen TSH-Wert im Blut erkennen. Liegt die Ursache einer Überfunktion an einer Vergrößerung der Schilddrüse bzw. an einem sogenannten heißen Knoten, muss dieser vor der Schwangerschaft behandelt werden. Ein heißer Knoten in der Schilddrüse besteht aus autonomen Schilddrüsenzellen und gibt unkontrolliert Schilddrüsenhormone ab. Im Regelfall wird dieser mittels Operation entfernt oder mit einer Radioiodtherapie behandelt.
Bei Morbus Basedow als Ursache für die Überfunktion der Schilddrüse bildet das Immunsystem Antikörper gegen die TSH-Rezeptoren auf den Schilddrüsenzellen. Diese imitieren den Effekt von TSH und bewirken eine erhöhte Stimulation der Schilddrüse, wodurch vermehrt Schilddrüsenhormone produziert werden. Die Autoimmunerkrankung wird in der Regel mit Thyreostatika behandelt. Diese Therapie erschwert den Kinderwunsch, da von einer Schwangerschaft während der Thyreostatika-Einnahme unter anderem aufgrund der erhöhten Abortrate abgeraten wird. In diesem Fall sollte ein Kinderwunsch explizit mit einem Schilddrüsenspezialisten besprochen werden.

Bei einer Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), die mit einer unzureichenden Bildung an Schilddrüsenhormonen assoziiert ist und anhand eines erhöhten TSH-Spiegels diagnostiziert wird, ist die Erfüllung des Kinderwunsches weniger kompliziert. Die Ursache einer Unterfunktion kann eine chronische Immunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis) sein, bei der das Immunsystem Antikörper gegen die Schilddrüse bildet, wodurch diese sich entzündet und trotz erhöhter Stimulation durch das TSH zu wenig Schilddrüsenhormone produziert. Die Behandlung erfolgt über die Gabe von Schilddrüsenhormontabletten, welche die geringe Hormonproduktion der Schilddrüse ausgleichen oder ersetzen.

Bei unerfülltem Kinderwunsch wird zumeist ab einem TSH-Wert von 2,5 mU/l zu einer Einnahme von Schilddrüsenhormonen geraten. Hierbei ist es wichtig, dass vor der Empfängnis die Unterfunktion der Schilddrüse ausreichend ausgeglichen wird und in der Frühschwangerschaft die Hormondosis erhöht wird. Das geschieht da im Normalfall das Schwangerschaftshormon Beta-HCG die Schilddrüse stimuliert, wodurch in der Frühschwangerschaft (ca. 10.-12. Schwangerschaftswoche) mehr Hormone produziert werden und es zu einer leichten Überfunktion kommt. Der erhöhte Energiebedarf wird benötigt, damit sich das ungeborene Kind ausreichend entwickeln und wachsen kann. Wenn die Schilddrüse entfernt wurde oder nicht ausreichend Hormone produziert, funktioniert dieser Regelkreis nicht ausreichend, was zu einer erhöhten Abortrate führt. Somit muss die Dosierung der Hormonepräparate in der Frühschwangerschaft bei einer Schilddrüsenunterfunktion zumeist angepasst werden.

Bedeutung der Schilddrüsenhormone für das ungeborene Kind

Schilddrüsenhormone spielen eine entscheidende Rolle bei der körperlichen und geistigen Entwicklung des ungeborenen Kindes. Zu Beginn der Schwangerschaft kann der Organismus des Kindes noch nicht selbst Schilddrüsenhormone produzieren, weshalb es auf die ausreichende Versorgung über die Mutter angewiesen ist. Besonders für die Entwicklung des Gehirns sind die Schilddrüsenhormone essentiell, weshalb es bei einer manifesten Schilddrüsenunterfunktion zu Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Wachstums kommen kann. Um etwaige Entwicklungsschäden zu vermeiden, muss die Mutter ausreichend mit Schilddrüsenhormonen versorgt sein.
Schwerwiegende Folgen treten zumeist nur bei einer manifesten Unterfunktion auf. Leichte Erhöhungen des TSH-Wertes sind in der Regel einfach zu behandeln und somit weniger gefährlich für das ungeborene Kind.

Schilddrüsenfunktionsstörung und Schwangerschaft

Vor der Schwangerschaft:

Idealerweise sollte die Schilddrüsenfunktion im Zeitraum des Kinderwunsches regelmäßig, zum Beispiel in halbjährigen Abständen, kontrolliert werden. Bei Bedarf kann eine Therapie begonnen und einer bestehende Therapie entsprechend angepasst werden um eine normale Schilddrüsenfunktion sicherzustellen.

Zu Beginn der Schwangerschaft:

In der Frühschwangerschaft sollte zeitnah (ca. um die 8. Schwangerschaftwoche) die Funktion der Schilddrüse kontrolliert werden, um die Hormondosis anzupassen.

Während der Schwangerschaft:

In den folgenden Schwangerschaftsmonaten sollten regelmäßige Kontrollen der Schilddrüse stattfinden, um eine ausreichende Versorgung an Schilddrüsenhormonen von Mutter und Kind sicherzustellen.

Schwangere Frau hält sich am Bauch Daniel Reche / Pixabay

Am Ende und nach der Schwangerschaft:

Es ist sinnvoll, bereits gegen Ende der Schwangerschaft die Schilddrüse zu kontrollieren und eine Prozedere zur Weiterbehandlung nach der Geburt zu planen. Die Schwangerschaft unterdrückt das Immunsystem der Schwangeren und bestehende Autoimmunerkrankungen bessern sich meist während dieser Zeit.  Nach der Entbindung kommt es zu einer erneuten Umstellung des Immunsystems, sodass viele Autoimmunerkrankungen verstärkt oder neu auftreten können. Üblicherweise tritt bei Schilddrüsenpatientinnen zwei bis drei Monate nach der Geburt durch die Zerstörung des Schilddrüsengewebes und den freiwerdenden eingespeicherten Schilddrüsenhormonen eine leichte vorübergehende Überfunktion auf. Diese normalisiert sich wieder nachdem der Hormonspeicher aufgebraucht wurde und geht anschließend in eine ausgeprägtere Unterfunktion über, da das geschädigte Schilddrüsengewebe nicht mehr in der Lage ist, ausreichend Hormone zu produzieren.

Eine mäßige Reduktion der Hormondosis in den ersten zwei Monaten nach der Entbindung kann hierbei sinnvoll sein und sollte ebenso wie eine anschließende Dosissteigerung im Rahmen einer Schilddrüsenkontrolle besprochen werden.

Fazit

Eine häufige Ursache für eine Unfruchtbarkeit bei Frauen ist eine Fehlfunktion der Schilddrüse. Eine Störung der Schilddrüsenfunktion kann zu Zyklusunregelmäßigkeiten führen und die Chancen einer Schwangerschaft verringen. Die in der Schilddrüse produzierten Hormone sind essentiell für das körperliche Wachstum und die geistige Entwicklung des ungeborenen Kindes, welches insbesondere zu Beginn der Schwangerschaft auf die Schilddrüsenhormone der Mutter angewiesen ist. Die Behandlung der Funktionsstörung steht bei Schilddrüsenpatientinnen mit Kinderwunsch im Vordergrund.
Obwohl die Schilddrüse bei einem unerfüllten Kinderwunsch zumeist nicht der zentrale Parameter ist, sollte ihre Funktion optimal eingestellt sein, regelmäßig vor und während einer Schwangerschaft kontrolliert werden und die Zeit nach der Geburt geplant werden, um die Schilddrüsenerkrankung im Anschluss weiterhin ausreichend zu behandeln.

Olivia Malvani, BSc

Olivia Malvani, BSc

Autor

Dr. med. univ. Bernhard Peuker, MSc

Dr. med. univ. Bernhard Peuker, MSc

Lektor


Redaktionelle Grundsätze

Alle für den Inhalt herangezogenen Informationen stammen von geprüften Quellen (anerkannte Institutionen, Fachleute, Studien renommierter Universitäten). Dabei legen wir großen Wert auf die Qualifikation der Autoren und den wissenschaftlichen Hintergrund der Informationen. Somit stellen wir sicher, dass unsere Recherchen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.

Zuletzt aktualisiert am 23.03.2023

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