Akustikusneurinom (Kleinhirnbrückenwinkeltumor)

Reduktion des Hörvermögens
Tinnitus
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen
Nystagmus
Schmerzen und Sensibilitätsstörung im Gesicht
Kopfschmerzen im Hinterkopf
Schluckbeschwerden
Hochtonschwerhörigkeit
Mutation in den Schwannschen Zellen
operativer Eingriff
Strahlentherapie

Grundlagen

Als Akustikusneurinom bezeichnet man einen seltenen, gutartigen Tumor des Nervus vestibulocochlearis. Der Nervus vestibulocochlearis ist der 8. von insgesamt 12 Hirnnerven und übermittelt Signale für den Gehör- und Gleichgewichtssinn. Das Akustikusneurinom entsteht meist aus Schwann-Zellen des vestibulären Anteils des Nervus vestibulocochlearis, weshalb die medizinische Bezeichnung für den Tumor auch Vestibularisschwannom lautet.

Der 8. Hirnnerv: Nervus vestibulocochlearis

Das Vestibularisschwannom bildet sich aus unkontrolliert wachsenden Schwannschen Zellen der Nervenhülle des Nervus vestibulocochlearis. Der Nerv ist ein sogenannter Zwillingsnerv, das heißt er hat zwei unterschiedliche Anteile. Ein Anteil (Hörnerv, Nervus cochlearis) ist für den Hörsinn zuständig, der andere Anteil (Gleichgewichtsnerv, Nervus vestibularis) ist hingegen für den Gleichgewichtssinn wichtig. Beide Nerven treten nah aneinander liegend im Hirnstamm aus und verlaufen über den Kleinhirnbrückenwinkel zum Innenohr. Da sich das Akustikusneurinom zumeist aus den Schwannschen Zellen des Nervus vestibularis bildet, kann der Tumor entweder seitlich am Nervus vestibularis wachsen oder die beiden Nervenanteile des gemischten Nerven sozusagen auftrennen. Die Art des Tumorwachstums hat einen entscheidenden Einfluss auf die Art der Therapie und die Prognose.

Langsames Wachstum im Kleinhirnbrückenwinkel

Der Tumor wächst im inneren Gehörgang und dehnt sich von da aus oft langsam in den Kleinhirnbrückenwinkel aus. Dadurch ist der Tumor auch unter der Bezeichnung Kleinhirnbrückenwinkeltumor bekannt. Liegt der Tumor noch im knöchernen Gehörgang, wird seine Lage auch als „intrameatal” bezeichnet. Wächst der Tumor in den Kleinhirnbrückenwinkel – einem Raum rechts und links vom Hirnstamm – wird seine Lage auch als „extrameatal” bezeichnet. Durch dieses ausdehnende Wachstum kommt es in den meisten Fällen zu einem zunehmenden Druck auf den Nervus vestibularis und den Nervus cochlearis. Im Verlauf der Erkrankung können auch der Nervus trigeminus (5. Hirnnerv) und der Nervus facialis (7. Hirnnerv) mitbetroffen sein. Symptome, die im Zuge eines Akustikusneurinoms auftreten können sind, etwa eine einseitige Hörminderung, Schwindel, Tinnitus und eine Lähmung des Nervus facialis. Zudem können auch weitere Hirnnerven und der Hirnstamm in seiner Funktion beeinträchtigt werden.

Schwerhörigkeit (iStock / eternalcreative)

Häufigkeit

Die Inzidenz des Akustikusneurinoms beträgt in Westeuropa etwa 1 zu 100.000, wobei am häufigsten Menschen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr betroffen sind. Das heißt, dass bei etwa 8 bis 10 von 1.000.000 Einwohnern ein Akustikusneurinom diagnostiziert wird. Akustikusneurinome machen etwa 7 % aller Hirntumore und über 80 % aller Tumore im Kleinhirnbrückenwinkel aus. Es wird jedoch angenommen, dass viele kleine Akustikusneurinome aufgrund einer fehlenden Symptomatik unentdeckt und somit unregistriert bleiben. Das häufigste Symptom bei Betroffenen ist eine Hörminderung.

Ursachen

Die genauen Ursachen eines Akustikusneurinoms sind bis heute nicht bekannt. Der Tumor bildet sich in den meisten Fällen aus den sogenannten Schwannschen Zellen, die um den N. vestibularis liegen und den Nerven elektrisch isolieren. Durch diese Isolation wird die Leitungsgeschwindigkeit im Nerv deutlich erhöht. Dies trägt zu einer schnelleren Übermittlung von Reizen des Gleichgewichts- beziehungsweise des Hörsinns bei.

Nicht vererbbarer Tumor

Ein Akustikusneurinom gilt derzeit als nicht vererbbarer Tumor. Das Akustikusneurinom kann in seltenen Fällen jedoch auch im Zusammenhang mit der Erbkrankheit Neurofibromatose Typ-2 auftreten. Tritt ein Akustikusneurinom auf beiden Seiten zugleich auf (etwa 5 % der Fälle), gilt dies als starker Hinweis für eine Neurofibromatose Typ-2. Die Erkrankung sollte daraufhin mithilfe von genetischen Tests ausgeschlossen beziehungsweise bestätigt werden.

Symptome

Die Symptome eines Akustikusneurinoms können in Früh- und Spätsymptome unterteilt werden. Für die Symptomatik ist jedoch nicht der Tumor selbst, sondern die Beeinträchtigung der umgebenden Strukturen verantwortlich. Ein Akustikusneurinom kann somit lange Zeit beschwerdefrei und unbemerkt bleiben. Beschwerden entstehen oftmals erst, wenn der Tumor andere Strukturen verdrängt, wodurch diese in ihrer Funktion gestört werden.

Frühsymptome

Da Akustikusneurinome meist langsam wachsen, verursachen sie generell eine schleichend einsetzende Symptomatik. Das erste Symptom ist bei über 94 % der Betroffenen eine zunehmende, einseitige Schwerhörigkeit. Diese Hörstörung betrifft vor allem die höheren Töne (Hochtonschwerhörigkeit). In etwa 5 % der Fälle tritt eine beidseitige Schwerhörigkeit auf. Dieser Befund ist hinweisend für eine genetische Erkrankung (Neurofibromatose Typ 2). Etwa 80 % aller Betroffenen berichten zusätzlich zur Hochtonschwerhörigkeit über einen Tinnitus. Weitere Frühsymptome eines Akustikusneurinoms sind Gangunsicherheit, Schwankschwindel, Spontannystagmus und ein Hörsturz.

Spätsymptome

Typische Spätsymptome eines Akustikusneurinoms sind:

  • Eine periphere Fazialislähmung (7. Hirnnerv)

  • Eine Sensibilitätsstörung (Hypästhesie) im Bereich des 1. und 2. Trigeminusastes (5. Hirnnerv)

  • Schluckstörungen

  • Andere Symptome durch die Kompression von Hirnnerven und des Hirnstamms

Da der Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel liegt, kommt es manchmal im Zuge des Tumorwachstums zu einem Kleinhirnbrückenwinkel-Syndrom. Das Kleinhirnbrückenwinkel-Syndrom bezeichnet eine Kombination von Symptomen, die bei einer Raumforderung im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels auftreten können.

Reduktion des Hörvermögens

Der Tumor entwickelt sich wie beschrieben meist aus den Schwannschen Zellen des Nervus vestibularis. Werden durch den Tumor Fasern des Nervus cochlearis (Hörnerv) gereizt beziehungsweise abgedrückt, führt dies oftmals zu einer zunehmenden Schwerhörigkeit auf der betroffenen Seite. Üblicherweise bemerken Betroffene zuerst eine Hörminderung in den hohen Frequenzen (z.B. bei Vogelgezwitscher). Diese Hörminderung kann auch als Zufallsbefund bei einer HNO-Untersuchung auffallen. Mit zunehmendem Tumorwachstum werden dann zumeist auch Nervenfasern des Nervus vestibularis (Gleichgewichtsnerv) in ihrer Funktion beinträchtigt, wodurch bei Betroffenen etwa Schwindel entsteht.

Tinnitus

Neben der Verminderung des Hörvermögens kann im Zuge der Erkrankung auch ein Tinnitus auftreten. Dies ist ein störender beziehungsweise unangenehmer Ton, der ständig gehört wird und keinen Auslöser in der Umgebung hat. Für die meisten Betroffenen ist der Tinnitus störender und auffälliger als der schwache Hörverlust, der sich meist zu Beginn des Akustikusneurinoms einstellt.

Einschränkung des Gleichgewichtsorgans

Mit zunehmendem Wachstum des Tumors werden die Einschränkungen immer stärker – es treten häufig Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei Betroffenen auf. Dabei können sowohl Dreh- als auch Schwankschwindelgefühle auftreten. Diese Symptome können den Alltag von Betroffenen stark beeinträchtigen. Neben Schwindel-Symptomen kann auch ein sogenannter Nystagmus im Zuge eines Akustikusneurinoms auftreten. Ein Nystagmus beschreibt eine unwillkürliche, rhythmisch-periodisch verlaufende Bewegung des Auges, etwa bei der Verfolgung oder bei der Fixierung von Gegenständen in der Umgebung.

Hirndruck bei großen Akustikusneurinomen

Bleibt ein Vestibularisschwannom lange unentdeckt, kann es auch zu einer sogenannten Hirndrucksymptomatik kommen. Diese entstehen, wenn der Druck im Schädel aufgrund des wachsenden Tumors zunimmt.

Häufige Symptome sind Kopfschmerzen, die vor allem im Bereich des Hinterkopfes auftreten, Sehstörungen bis hin zum Verlust der Sehkraft, Erbrechen und Veränderungen der Persönlichkeit. Hirndrucksymptome sollten immer sofort durch einen Arzt abgeklärt und therapiert werden.

Diagnose

Zu Beginn der Diagnostik eines Akustikusneurinoms steht eine genaue Anamnese durch den behandelnden Arzt. Hier wird der Betroffene ausführlich zu den Symptomen und dem zeitlichen Auftreten befragt. Die Anamnese kann dabei schon wichtige Hinweise für den behandelnden Arzt liefern. Der Verdacht auf ein Akustikusneurinom wird daraufhin meist durch weitere Untersuchungen bestätigt. An diesen Untersuchungen beteiligen sich oft HNO-Ärzte oder auch Neurologen.

Hörtest (iStock / DuxX)

Überprüfung des Hörvermögens

Als eine der ersten Untersuchungen zur Bestätigung eines Akustikusneurinom-Verdachsts eignet sich ein Hörtest, da sich die Erkrankung oftmals durch ein vermindertes Hörvermögen bemerkbar macht. Dabei wird in der Tonschwellenaudiometrie oft eine sogenannte Hochtonschwerhörigkeit festgestellt. Da Betroffene jedoch selbst im Test angeben können, was sie hören, handelt es sich immer um einen subjektiven Test. Durch eine sogenannte Audiometrie kann festgestellt werden, welches Ohr hörgeschädigt ist.

Überprüfung des Gleichgewichtes

Erste Hinweise auf die Schädigung des Gleichgewichtssinnes können auch durch einfache Tests gesammelt werden. Dabei müssen Betroffene beispielsweise mit geschlossenen Augen bestimmte Geh- und Stehversuche ausführen. Vor allem der Romberg- und der Unterberger-Versuch liefern wichtige Hinweise auf eine Schädigung des Gleichgewichtsorgans. Auch ein bestehender Nystagmus (Augenzucken) ist ein Hinweis auf eine Einschränkung des Gleichgewichtssinns.

Hirnstammaudiometrie

Des Weiteren kann als Untersuchung eines Akustikusneurinoms auch eine Hirnstammaudiometrie (Brainstem evoked response audiometry, kurz: BERA) durchgeführt werden. Dabei wird der Hörnerv mithilfe eines Lautsprechers getestet. Dem Patienten werden verschiedene Klick-Töne vorgespielt, welche ohne seine aktive Beteiligung über eine Elektrode hinter dem Ohr gemessen werden. Die Information des Geräusches werden über den Hörnerv direkt in das Gehirn weitergeleitet und von Messsensoren erfasst.

MRT-Untersuchung (iStock / shironosov)

Radiologische Untersuchungen

Die Verdachtsdiagnose eines Akustikusneurinoms wird meist mithilfe einer bildgebenden Untersuchung bestätigt. Hierbei spielen die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztherapie (MRT) eine wesentliche Rolle. 

Bei der Früherkennung hat vor allem die MRT einen großen Stellenwert, da die MRT bei der Durchführung keine Strahlenbelastung für die Untersuchten verursacht. Mithilfe dieses Verfahrens können durch eine Kontrastmittelgabe auch schon Neurinome erkannt werden, die erst wenige Millimeter groß sind.

Therapie

Bei der Therapie des Akustikusneurinoms kommen bei Betroffenen je nach Wachstum und Tumorausdehnung drei Strategien infrage.

Abwarten

Vor allem kleine Akustikusneurinome mit nur wenigen Millimetern Durchmesser, die keine Symptome verursachen, können oftmals beobachtet werden. Da das Wachstum der meisten Akustikusneurinome nur sehr langsam verläuft, können so Operationen oder Strahlenbehandlungen zumindest hinausgezögert werden. Bei älteren Betroffenen wächst der Tumor sogar oft mit einer noch geringeren Geschwindigkeit.

Chirurgische Entfernung

Überschreitet der Tumor eine Größe von etwa 3 Zentimetern im Durchmesser, sollte der Tumor chirurgisch entfernt werden, da bei einer Bestrahlung zwangsläufig gesundes Gewebe mitbestrahlt wird. Die chirurgische Entfernung erfolgt unter Schonung der umgebenden Strukturen (gesundes Gewebe, Blutgefäße und Hirnnerven), die in den meisten Fällen gut erhalten werden können.

Strahlentherapie

Alternativ zur Operation kann bei kleineren Tumoren eine Bestrahlung mithilfe eines Gamma- oder Cyber-Knifes erfolgen. Der Vorteil der Strahlentherapie ist, dass Betroffene die möglichen Risiken einer Operation umgehen können. Bei der Behandlung werden die Zellen des Tumors durch Strahlen zerstört beziehungsweise verändert. Das Cyber-Knife bezeichnet einen robotergestützten Linearbeschleuniger zur Behandlung von Hirntumoren. 

Prognose

Akustikusneurinome zeichnen sich dadurch aus, dass sie generell sehr langsam wachsen und keine Metastasen bilden. Die Tumore entsprechen dem WHO-Grad 1 der Klassifizierung von Hirntumoren. Die Sterblichkeit bei Akustikusneurinomen liegt bei weit unter 1 % der Betroffenen. In etwa 95 % der Fälle können die Hirnnerven bei einer Behandlung erhalten werden. Bei Tumoren unter einem mittleren Durchmesser von 3 cm können sogar in fast 100 % der Behandlungsfälle die Hirnnerven erhalten werden.

Gute Prognose bei frühzeitiger Diagnose

Wie bei allen anderen Tumoren ist die Prognose umso besser, je früher der Tumor diagnostiziert und behandelt wird. Das Hörvermögen bleibt bei etwa 50 - 70 % der Betroffenen, abhängig von der Größe des Tumors, erhalten. Größere Tumore müssen meist mithilfe von operativen Eingriffen entfernt werden, wobei diese im Regelfall nicht wiederkommen. Ausnahmen bilden große, chirurgisch unvollständig entfernte Tumore und Tumore, die auf eine Radiotherapie nicht beziehungsweise nur schlecht angesprochen haben. Bei diesen Tumoren kann es zu einem Rückfall (Rezidiv) kommen.

Regelmäßige Kontrolle nach Entfernung

Da manche Akustikusneurinome zu einem Rezidiv neigen, ist es empfehlenswert, nach einer Tumorentfernung regelmäßige MRT-Kontrollen zu machen. So können schon sehr kleine Rezidive erkannt werden, die dann wiederum chirurgisch oder mittels Strahlentherapie behandelt werden können. Vor allem kleine und mittelgroße Tumore können jedoch oft komplikationslos entfernt werden.

Dr. med. univ. Moritz Wieser

Dr. med. univ. Moritz Wieser

Autor

Thomas Hofko

Thomas Hofko

Lektor


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