Diffuser Haarausfall (Alopecia diffusa)

Haarverlust
Schädigung der Haarwurzelzellen
Medikamenteneinnahme
Infektionskrankheiten
Funktionsstörung der Schilddrüse
Schwermetalle
Veränderter Hormonhaushalt
Kopfhauterkrankungen
Stress
Mangelernährung
Strahlentherapie
Chemotherapie
Medikamenteneinnahme
Vergiftungen
schädliche Strahlungen
Stoffwechselerkrankungen und/oder genetische Störungen
lokale Behandlungen
Lokale Injektionen (Mesotherapie)

Grundlagen

Alopezie bezeichnet eine Haarlosigkeit an Körperstellen, die normalerweise behaart sind. Das besondere beim diffusen Haarausfall (Alopecia diffusa) ist, dass der Verlust der Behaarung nicht auf eine bestimmte Kopfstelle beschränkt ist, sondern, dass die gesamte Kopfbehaarung dünner wird. Den Vorgang, bei dem die Haare ausfallen, bezeichnet man dabei lateinisch als Effluvium.

Haarverlust (iStock / Rattankun Thongbun)

In der Mehrzahl der Fälle von diffusem Haarausfall lässt sich weder eine verursachende Erkrankung noch ein anderer auslösender Umstand (z. B. Medikamenteneinnahme) finden. 90 % der Fälle von diffusem Haarausfall werden durch die androgenetische Alopezie (Haarausfall durch männliche Hormone) verursacht. 

Oft wird von Patienten ein Haarausfall vermutet, obwohl der Haarverlust noch nicht krankheitsrelevant ist. Menschen mit dichtem, vollem Haar können über 100 Haare am Tag verlieren, ohne, dass es dabei zu einer Verminderung des Haarbestandes (Alopezie) kommt. Eine Alopezie liegt medizinisch vor, wenn mehr als 60 % der menschlichen Behaarung an einer bestimmten Stelle beziehungsweise einem bestimmten Körperbereich nicht mehr vorhanden sind.

Der menschliche Haarzyklus

Allgemein durchlaufen unsere Haare einen bestimmten Zyklus in mehreren Phasen.

Anagenphase

Katagenphase

Telogenphase

In der Wachstumsphase (d.h. Anagenphase) werden neue Haarwurzeln gebildet und die Haare wachsen. Diese Phase dauert beim Menschen ungefähr drei bis fünf Jahre, wobei sich rund 80 % der Kopfhauthaare in dieser Phase befinden.

In der Überhangsphase (d.h. Katagenphase) wird die Zellproduktion eingestellt und das Haar löst sich von einem Teil der Haarwurzel ab. Etwa 1 bis 2 % der Kopfhaare befinden sich in dieser Phase.

In der darauffolgenden Endphase/Ruhephase (d.h. Telogenphase) erneuert sich die Haarwurzel. In diesen 2 bis 4 Monaten können Haare einfacher ausfallen, da sie nicht mehr fest mit der Haarwurzel verbunden sind. Etwa 20 % der Kopfhauthaare befindet sich in der Telogenphase

Ursachen

Verschiedene Stoffwechselerkrankungen (z. B. Schilddrüsenüberfunktion) und Nährstoffmängel (z. B. Eisenmangel, Kalziummangel) verursachen als erstes beziehungsweise einziges Symptom Haarausfall, eine Verlangsamung des Haarwachstums oder eine Verminderung der Haarqualität. Auch bei bösartigen Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen tritt Haarausfall häufig auf. Weitere Erkrankungen, die oft von einem diffusen Haarausfall begleitet sind, sind etwa AIDS, Anorexie und manche Formen der Gehirnentzündung (Enzephalitis). 

Die verschiedenen Formen des diffusen Haarausfalls sind:

  • Androgenetische Alopezie

  • Progressive acquired kinking

  • Diffuser symptomatischer Haarausfall vom Spättyp

  • Diffuser symptomatischer Haarausfall vom Frühtyp

  • Diffuser telogener Haarausfall bei beschleunigtem Haarzyklus

  • Diffuser anagener Haarausfall

  • Alopecia areata diffusa

  • Physikalisch-chemische Schädigung der Haare

  • Diffuser Haarausfall bei Mineralstoff -, Coenzym-, Eiweiß- oder Energiemangel

  • Diffuser Haarausfall bei Medikamenteneinnahme

  • Diffuser Haarausfall bei diversen Vergiftungen

  • Diffuser Haarausfall aufgrund von psychischen Belastungen (Stress) oder neurologisch-psychiatrischen Krankheiten

(iStock / ozanuysal)

Androgenetische Alopezie

Die häufigste Form des Haarausfalls beim Menschen ist die sogenannte androgenetische Alopezie. Etwa 50 % der Männer und 25 % der Frauen leiden an dieser Form des Haarausfalls, wobei das telogene Effluvium ein bestimmtes Muster zeigt. So kommt es zu einer Aussparung des Haarausfalls im Hinterhauptbereich und an der Schläfenregion.

Progressive acquired kinking

Bei dieser seltenen, wahrscheinlich genetisch bedingten Störung kommt es zur Entwicklung zahlreicher gekräuselter Kopfhaare. Viele Betroffene bemerken das veränderte Haarwachstum nicht, weshalb man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen kann. Bei Männern tritt die Veränderung oft zu Beginn einer androgenetischen Alopezie auf.

Diffuser symptomatischer Haarausfall vom Spättyp

Nach einer geringgradigen Schädigung der Haarwurzeln fallen die vorzeitig in das Telogen übergetretenen Haare innerhalb einiger Wochen aus. Der Haarausfall betrifft dabei am stärksten die Scheitelgegend. Ursachen für einen diffusen symptomatischen Haarausfall vom Spättyp sind etwa die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), Leberzirrhosen, Infektionskrankheiten oder auch bestimmte Vergiftungen (z. B. Thallium, Bor).

Diffuser symptomatischer Haarausfall vom Frühtyp

Dieser Typ des Haarausfalls entsteht aufgrund massiver Schädigung der Haarwurzeln, etwa durch AIDS, Syphilis oder einer zytostatischen Therapie (Chemotherapeutika). Die Haare fallen dabei büschelweise aus. Nach der Behebung der Ursache wachsen die Haare meist nach. Auch seelische Belastungen wie z. B. Stress oder Operationen beziehungsweise Hungerkuren können diese Form des Haarausfalls verursachen.

Diffuser telogener Haarausfall bei beschleunigtem Haarzyklus

Bei einem genetisch bedingten, beschleunigten Haarzyklus kann es zu einem vermehrten Ausfall von telogenen Haaren kommen ohne, dass eine merkliche Reduktion der Behaarung eintritt.

Diffuser anagener Haarausfall

Beim diffusen anagenen Haarausfall kommt es zu einem verstärkten Nachwachsen der Haare nach einer schädigenden Noxe (z. B. Chemotherapie). Hier kommt es also zu einer Vermehrung des Haarbestandes, für Betroffene scheint es aber so, als gingen Haare verloren. 

Alopecia areata diffusa

Die Alopecia areata diffusa ist eine besondere und spontan reversible Form des diffusen Haarausfalls. Meistens wird hier kein Auslöser gefunden. Die Erkrankung tritt vor allem bei Frauen auf und macht sich mit einem anfänglich diffusen Haarverlust bemerkbar, der über einen Zeitraum von einigen Wochen zu einem kompletten Verlust der Kopfbehaarung führt.

Physikalisch-chemische Schädigung der Haare

Schädliche chemische oder physikalische Einflüsse können zu einem Abbrechen der Haare führen. Je nachdem, wie stark der schädigende Einfluss ist, können entweder einzelne Bereiche der Kopfhaut oder auch der gesamte Kopf betroffen sein. Im Trichorrhizogramm zeigen sich zahlreiche, glatt abgebrochene Haare. Häufig wird diese Form des Haarverlusts durch die falsche Anwendung von Blondierungs- oder Bleichmitteln ausgelöst.

Ab einer Dosis von 3,8 Gy (d.h. Gray - Maßeinheit ionisierter Strahlung) kann es zu einem Haarverlust kommen. Dabei kann sich das Wachstum der Haare nach einigen Monaten erholen. Ab einer Strahlendosis von mehr als 8 Gy kann es zu einem dauerhaft bestehenden Haarverlust kommen. 

Diffuser Haarausfall bei Mineralstoff -, Coenzym-, Eiweiß- oder Energiemangel

Ein Mangel an verschiedenen Mikro- und Makronährstoffen (z. B. Eisen, Zink, Kalzium, Fettsäuren und Eiweiß) kann einen diffusen Haarausfall bei Kindern und Erwachsenen verursachen. Eisenmangel macht sich häufig zu Beginn mit einer Störung des Haarwachstums bemerkbar, da Eisen ein essenzieller Bestandteil des Haaraufbaus ist. Weitere Mangel, die mit einem Haarausfall einhergehen können, sind Vitamin-C-Mangel, Biotinmangel und der Kupfermangel. Auch Hungerzustände und Crash-Diäten können einen diffusen Haarverlust verursachen.

Diffuser Haarausfall bei Medikamenteneinnahme

Tritt ein Haarausfall im Zuge einer Medikamenteneinnahme auf, sollte evaluiert werden, ob das Medikament gestoppt oder die Therapie auf einen anderen Wirkstoff umgestellt werden kann. In manchen Fällen (z. B. Chemotherapie) muss aufgrund der gravierenden Indikation ein Haarausfall von Patienten in Kauf genommen werden.

Medikamente die einen diffusen Haarausfall verursachen können sind etwa:

  • Antikoagulantien (z. B. Heparin, Warfarin, Macoumar)

  • Analgetika und NSAR (z. B. Diclofenac, Naproxen, Ibuprofen)

  • Thyreostatika

  • Beta-Rezeptorenblocker

  • Cetuximab und Panitumubab

  • Lipidsenker (z. B. Clofibrat, Fenofibrat, Bezafibrat)

  • Antiretrovirale Medikamente (z. B. Indinavir, Didanosin)

  • Methylphenidat (Behandlung von ADHS)

  • Zytostatika

  • Orale Kontrazeptiva

Diffuser Haarausfall bei Vergiftungen

Klassisch führen Vergiftungen mit Thallium oder Arsen zu einem Haarausfall. Bei beiden Vergiftungen sind zudem spezielle sogenannte Meessche Querstreifen an den Nägeln zu sehen. Bei einer Arsenvergiftung tritt ein Haarausfall der gesamten Kopfhaut ein. Im Gegensatz dazu bleiben bei einer Thalliumvergiftung einzelne behaarte Stellen übrig. Auch das Rauchen schädigt die Haare und Haarwurzeln. Hier vermindert sich die Haardichte, die Haarlänge und des Haarwachstums wie bei normaler Alterung nur um etwa 10 bis 15 Jahre früher.

Diffuser Haarausfall aufgrund von psychischen Belastungen (Stress) oder neurologisch-psychiatrischen Krankheiten

Psychische Erkrankungen, Stress oder Gehirnentzündungen (Enzephalitiden) können zu einem vorübergehenden oder reversiblen Haarverlust führen. Eine chronische Fatigue und ein Burnout werden dabei häufig von einem geringen, diffusen Haarverlust begleitet. Der Verlust von Haaren an den Geheimratsecken bei Männern und Frauen ist hier im Gegensatz zur androgenetischen Alopezie reversibel.

Symptome

Die Schädigung der Haarwurzeln beim diffusen Haarausfall führt zu einem über den gesamten Kopf verteilten Haarverlust. Dadurch entstehen lichte Stellen und die neugebildeten Haare wachsen nur verlangsamt beziehungsweise schwächer nach. Je nach Untertyp ist die Symptomatik des Haarverlustes dabei unterschiedlich.

Das Ausmaß des Haarverlusts hängt stark von den Auslösern ab. Schwer schädigende Substanzen (wie beispielsweise Chemotherapeutika im Rahmen einer Krebsbehandlung) führen zu einer derart massiven Schädigung der Haarwurzelzellen, dass die Haare schon innerhalb eines Monats nach Behandlungsbeginn ausfallen können.

Diagnose

Bei der Abklärung von Haarausfall werden beim Erstgespräch mit einem Arzt die Ernährungsgewohnheiten, bestehende Erkrankungen (z. B. Zuckerkrankheit, Schilddrüsenüberfunktion, Gicht) und auch eine Medikamenteneinnahme abgefragt.

Weitere wichtige Aspekte im Zuge einer Diagnostik von Haarausfall sind:

  • Diäten und Vitaminmangel

  • Vorausgegangene Blutkrankheiten

  • Eisenmangel

  • Hormonstörungen

  • Nikotinkonsum

  • Kreislaufstörungen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände

  • Kopf- und Nackenschmerzen

  • Verdacht beziehungsweise das Vorliegen von Krebs

  • Psychiatrische Störungen wie Depression oder Burnout

  • Altersbeschwerden, vorzeitige Alterung

  • Haarkosmetik und Haarfärbung

Laboruntersuchungen

Bei diffusem Haarausfall unklarer Genese wird eine Blutuntersuchung mit einer Bestimmung der Eisenstoffwechselparameter, der Blutzellen und des Hämoglobingehalts empfohlen. 

Wichtige Laborparameter, die bei einem diffusen Haarausfall untersucht werden sollten sind:

  • Komplettes Blutbild (inkl. roter und weißer Blutkörperchen, Blutplättchen und Hämoglobingehalt)

  • Eisen im Serum, Transferrin, Ferritin, löslicher Transferrinrezeptor

  • Leberfunktionsparameter (inkl. GOT, GPT und Serumbilirubin)

  • Nierenfunktionsparameter (inkl. Serumkreatinin und BUN)

  • Harnsäure

  • Fettstoffwechselparameter (inkl. Gesamtlipide, Triglyzeride und LDL)

  • Serum-Glukose und HbA1c

  • Schilddrüsenfunktionsparameter

  • Kalzium, Zink

  • Bei Frauen: Serumspiegel von Östrogen, Progesteron und Testosteron

Zudem wird in manchen Fällen ein Trichogramm angefertigt. Dabei werden mittels einer Klemme zirka 20 bis 50 Haare epiliert (ausgezupft), die anschließend unter einem Mikroskop untersucht werden können. Durch eine Beurteilung der Haarwurzeln können so Rückschlüsse auf das Wachstumsverhalten der Kopfbehaarung gezogen werden, wodurch sich auch das Ausmaß des Haarausfalls abschätzen lässt.

Klinische Tests bei diffusem Haarausfall sind:

  • Klinischer Epilationstest (Haarzupftest, Prüfung auf die Festigkeit des Haarsitzes)

  • Phototrichogramm (Trichorrhizogramm): Fotografische Dokumentation des Haarwachstums an kleinen Arealen

  • TrichoScan: Beurteilung des Haarwachstums mithilfe von spezialisierter Software

Therapie

Hat die Blutuntersuchung Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Erkrankung oder einer hormonellen Störung ergeben, ist die Behandlung dieses Problems vorrangig. Dadurch lässt sich der Haarausfall häufig bessern oder auch beheben. Gibt es Hinweise für einen durch Medikamenteneinnahme verursachten diffusen Haarausfall, so sollte das betreffende Medikament entweder abgesetzt, oder durch einen anderen passenden Wirkstoff ersetzt werden.

Die Therapie des diffusen Haarausfalls lässt sich generell in lokale äußere Anwendungen und lokale Injektionen (Mesotherapie) unterteilen.

Lokale Therapieoptionen bei diffusem Haarausfall sind:

  • Milde, schonende, alkalifreie Haarwäschen in einem Intervall von 5 bis 7 Tagen

  • Durchblutungsfördernde Maßnahmen wie Haarbodenmassagen mit Lösungen

  • Einreibung der Kopfhaut mit verschiedenen Wirkstoffen

  • Lokale Anwendung von Minoxidil (2-5 %)

Lokale Injektionen (Mesotherapie)

Der Nutzen der Mesotherapie ist umstritten. Die Therapieform bezeichnet die subkutane Injektion von diversen Substanzen wie etwa:

  • Pflanzenextrakten

  • homöopathischen Wirkstoffen

  • Vitaminen

  • Vasodilatatoren 

  • Minoxidil und Finasterid

Häufige Nebenwirkungen der Mesotherapie sind Abszesse aufgrund der Injektion, sowie irreversibler Haarverlust und Narbenbildungen.

Nahrungsergänzungsmittel (iStock / Matidtor)

Häufig kommen auch orale Präparate, die das Haarwachstum anregen, zum Einsatz. Dabei handelt es sich beispielsweise um Nahrungsergänzungsmittel, die wichtige Nährstoffen für das Haarwachstum enthalten.

Empfohlene Mikronährstoffmengen bei Haarausfall sind:

Substanz

Tagesmenge

Eisen

10 – 15 mg

Zink

30 – 50 mg als Zink-Histidin

Jod

200 μg

Biotin

60 – 90 mg

Folsäure

600 μg

Eiweiß mit schwefelhaltigen Aminosäuren

1 – 1,2 g

Prognose

Die Prognose des diffusen Haarausfalls ist in den meisten Fällen gut. Wird die Ursache des Haarausfalls behoben, regeneriert sich die Kopfbehaarung oft wieder.

Falls der diffuse Haarausfall Folge einer Chemotherapie oder Strahlentherapie war, sind die neugebildeten Haare oft dünner und heller als die frühere Kopfbehaarung. Dies hat seinen Grund darin, dass durch die Krebstherapie oftmals die Haarwurzelzellen (besonders die Matrix- und Pigmentzellen in der Wachstumszone der Haare) stark geschädigt werden.

Dr. med. univ. Moritz Wieser

Dr. med. univ. Moritz Wieser

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